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Die Forschung im Bereich mitochondrialer Erkrankungen hat in den letzten 15 Jahren große Fortschritte gemacht. Lag der Fokus lange Zeit auf dem besseren Verständnis der Biologie und der durch Mutationen hervorgerufenen biologischen Probleme der Mitochondrien und Zellen, liegt der Fokus inzwischen viel stärker auf therapeutischen Ansätzen und klinischen Studien.

Zwei illustrative Beispiele zur aktiven Forschung:

Das Kaputte reparieren

Existierende Medikamente auf eine neue, personalisierte Weise einsetzen


Das Kaputte reparieren

Die Mehrzahl mitochondrialer Erkrankungen wird durch die Veränderung eines einzigen oder weniger Basenpaare oder „Buchstaben“ unseres DNA-Codes verursacht. Eine kleine Veränderung in den 3,2 Milliarden Basenpaaren eines Menschen. Wenn es gelänge diese einzelnen Buchstaben wieder zu korrigieren – „Gene Editing“ – könnte man die Krankheit heilen oder zumindest lindern.

Der Teil der DNA, der den Bauplan für die Mitochondrien enthält, ist der einzige Teil der DNA, der an zwei Orten existiert. Die große Mehrzahl der Gene befinden sich im Zellkern jeder Zelle – dort wo sich der überwältigende Teil der DNA befindet –, die nukleare bzw. Kern-DNA. Aber ein sehr kleiner Teil der DNA – 37 Gene insgesamt – befindet sich in den Mitochondrien selbst, die mitochondriale DNA. Je nachdem, wo eine DNA-Base mutiert ist (im Zellkern versus im Mitochondrium selbst) und durch "Gene Editing" korrigiert werden soll, müssen möglicherweise unterschiedliche Technologien zur „Reparatur“ der Mutation zum Einsatz kommen.

Für die Kern-DNA gibt es schon seit vielen Jahren Techniken, die Teile des Genoms ersetzen können. Die für einen möglichen Durchbruch entscheidende Technologie dafür wurde im Jahr 2012 entdeckt und die zwei Entdeckerinnen 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Die CRISPR/Cas9-Technologie ermöglicht es ein Stück DNA zu identifizieren, herauszuschneiden und durch ein neues Stück DNA zu ersetzen – und das in einem einfachen Verfahren und mit hoher Präzision.

Dies ermöglicht zum einen das bessere Verständnis mitochondrialer Erkrankungen durch bessere Modelle im "Reagenzglas" oder bessere Tiermodelle. Zum anderen bietet diese Technologie aber auch das Potenzial Veränderungen bei einem Menschen „in vivo“ durchzuführen, um die Erkrankung deutlich zu verbessern oder zu heilen ("Gene Therapy"). Die dafür notwendigen genetischen „Werkzeuge“ werden typischerweise über Viren in die zu reparierenden Zellen eingeschleust.

Das Risiko einer solchen Reparatur im lebenden Menschen ist aber natürlich sehr hoch. Es muss z.B. unbedingt verhindert werden das falsche Stellen „repariert“ werden (so genannte "off-target effects") und damit am Ende andere wichtige Teile der DNA unwiderruflich zerstört werden. Eine erste Gen-Therapie am Menschen wurde mit CRISPR in einer klinischen Studie im Jahr 2020 durchgeführt. Parallel laufen einige klinische Studien mit anderen Gen-Therapie-Werkzeugen.

Für die mitochondriale DNA gab es bis vor kurzem keinen Ansatz, der eine Gentherapie zukünftig möglich machen könnte, da die CRISPR/Cas9-Technolgie nicht in die Mitochondrien, die selbst von zwei Membranen umgeben sind, eingebracht werden kann. Ein möglicher Durchbruch aber wurde im Jahr 2020 erzielt, als ein Enzym entdeckt wurde, dass einzelne Basenpaare der mitochondrialen DNA präzise verändern kann, ohne die DNA dafür zerschneiden zu müssen ("Base Editing"). Im Jahr 2021 konnte diese Technologie mit dem komplexen Namen „double-stranded DNA deaminase (DddA)-derived cytosine base editor (DdCBE)“ zum ersten Mal zeigen, dass sie recht präzise Basenpaare in lebenden Mäusen verändern konnte.

Eine weitere mögliche Alternative zur Behandliung von Defekten in der mitochondrialen DNA ist die Bereitstellung einer gesunden Kopie eines mitochondrialen Gens, das in den Zellkern verlagert wird (die so genannte "allotopische Expression"). Dieser Ansatz wird derzeit für die mitochondriale Krankheit LHON (Leber hereditäre Optikusneuropathie) getestet, die zum Verlust des Sehvermögens führt. Die laufenden klinischen Versuche scheinen nach der Injektion der Gentherapie-Vektoren in die Augen der Patienten positive Ergebnisse zu zeigen.

Während der Weg zur sicheren Gentherapie für viele mitochondriale Erkrankungen noch lang ist, können diese Technologien, die alle innerhalb der letzten Dekade entwickelt wurden, schon durch die zeitnahe Entwicklung besserer Zell- und Tiermodelle zu großen Forschungserfolgen führen, da sowohl Wirkmechanismen als auch Therapieansätze durch diese Modelle besser erforscht werden können.


Existierende Medikamente auf eine neue, personalisierte Weise einsetzen

Für mitochondriale Erkrankungen finden sich eine Reihe von Medikamenten in klinischen Studien auf dem Weg der Zulassung. Allerdings dauern Zulassungsverfahren für neue Medikamente sehr lange. Erschwerend kommt bei mitochondrialen Erkrankungen hinzu, dass es so viele unterschiedliche Erkrankungen gibt, bei der jede Einzelne aber eine geringe Fallzahl hat. Dies macht klinische Studien mit hoher Teilnehmerzahl de facto unmöglich.

Ein sehr viel schnellerer Weg, um Patienten zu helfen, könnte darin bestehen, vorhandene Medikamente zu verwenden, die bereits für verschiedene Indikationen zugelassen sind. Da diese Medikamente bereits für ein bestimmtes Leiden zugelassen sind, wurde ihre Sicherheit an einer großen Zahl von Personen ausgiebig getestet. Wenn sich einige dieser Medikamente als wirksam gegen bestimmte mitochondriale Erkrankungen erweisen, könnten sie in einem vereinfachten Zulassungsverfahren, dem so genannten "drug repurposing", für diese neue Indikation zugelassen werden. Bei seltenen Krankheiten wie den mitochondrialen Erkrankungen kann dieser Prozess durch bestimmte Anreize für die Pharmaindustrie weiter gefördert werden, wenn das umzuwidmende Arzneimittel einen bestimmten Status (den so genannten "Orphan-Drug-Status") erhält. Insgesamt würde der Prozess der Umwidmung von Arzneimitteln zu viel schnelleren Behandlungsmöglichkeiten für diese Patienten führen.

Die Frage ist daher: Wie finde ich Medikamente, die gegen mitochondriale Erkrankungen helfen, insbesondere da es ja sehr viele Unterarten dieser Erkrankungen gibt?

Ein sehr personalisierter Ansatz besteht darin, Zellen von erkrankten Personen zu entnehmen. In diesen Zellen können die patientenspezifischen zellulären Defekte analysiert werden. Eine große Auswahl an Medikamenten wird dann an diesen Zellen getestet, um zu sehen, ob sie diese zellulären Defekte verbessern.

Es gibt bereits große Arzneimitteldatenbanken mit mehreren tausend Medikamenten, mit denen diese Analysen an echten Patientenzellen mit Hilfe von Hochdurchsatz-Laborrobotern durchgeführt werden können.

Auch bei den Zellen selbst hat die Medizin in den letzten 15 Jahren große Fortschritte gemacht. Ein großes Problem war das insbesondere Zellen mit einem hohen Energiedurchsatz, wie z.B. Gehirn- oder Herzzellen, von mitochondrialen Erkrankungen besonders betroffen sein können. Es ist aber sehr schwer diese Zellen schonend von Patienten – insbesondere von Kindern – entnehmen zu können.

Dieses Problem wurde durch eine medizinische Erfindung gelöst, die 2012 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde: den „induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC)“. In der Entwicklung eines Menschen starten alle Zellen von einem Startpunkt, der „Stammzelle“, die sich dann in unterschiedliche Zelltypen „ausdifferenziert“. Die Verwendung von embryonalen Stammzellen für die Forschung ist jedoch problematisch und in einigen Ländern umstritten. Im Jahr 2006 konnten Wissenschaftler zeigen, dass man eine andere Zelle eines Menschen, z. B. eine Hautzelle, in einen Zustand "umprogrammieren" kann, der dem einer embryonalen Stammzelle ähnelt, indem man einfach die Expression bestimmter Gene erhöht. Mit dieser Methode kann man z. B. eine Hautzelle in eine iPSC-Zelle zurückprogrammieren, um sie dann durch Zugabe anderer Proteine wieder in eine Gehirn- oder Herzzelle zu differenzieren. Auf diese Weise kann man nach einer einfachen Hautbiopsie eines Patienten ein Zellmodell "herstellen", das in der Lage ist, Gehirn- oder Herzzellen zu erzeugen, die die gleiche nukleare und mitochondriale DNA des ursprünglichen Patienten enthalten. Diese differenzierten Zellen können dann mit einer Arzneimitteldatenbank nach der zuvor beschriebenen Methode getestet werden.

Bereits 2017 wurde dieser Ansatz für eine Gruppe von mitochondrialen Erkrankungen exemplarisch pilotiert. In der Pilotstudie wurde ein bestimmter Wirkstoff aus einer Gruppe von mehreren hundert Medikamenten als potenzieller Behandlungskandidat identifiziert. Das Medikament wird nun in einer ersten Studie mit einer Patientenkohorte auf seine Wirksamkeit bei dieser Krankheit getestet. Die ersten Ergebnisse waren sehr positiv.

In der Zwischenzeit läuft ein europäisches Forschungsprojekt, in dem dieser Ansatz mit der größten öffentlich zugänglichen Arzneimitteldatenbank und weiteren Zellanalysetechnologien für diese Gruppe mitochondrialer Erkrankungen weiter untersucht wird, um weitere Arzneimittel mit möglicherweise noch besserer Wirksamkeit zu identifizieren.

Der Weg nach vorne

Die beiden vorgestellten Forschungsrichtungen sind dabei nur Beispiele für eine große Zahl von unterschiedlichen Ansätzen, an denen weltweit geforscht wird. Sie zeigen auch welche großen Fortschritte die Medizin in den letzten 15 Jahren gemacht hat, die Therapie- und Heilung erst möglich machen.
Forschungsfinanzierung ist dabei ein wesentlicher Faktor, der entscheidet wie schnell Fortschritte gemacht werden können.

Die bessere Finanzierung dieser Forschung kann dabei auf vielen Ebenen einen großen Unterschied machen. Sie finanziert die Forscher:innen selbst, das teure Laborequipment, teure Anträge für klinische Studien, die verbesserte Nutzung von Patienten-Registries und ähnliches.

Die Kernmission der MitoHelp Foundation ist die Förderung dieser Forschung.